Bei Lance Stroll war der linke Hinterreifen bei mehr als 280
km/h in der Arrabiata-Kurve geplatzt.
Die Formel 1-Saison 2020 wird nicht nur wegen des siebten WM-Titels von Lewis Hamilton und der Überraschungssieger Pierre Gasly und Sergio Perez in Erinnerung bleiben. Es gab auch eine Reihe schwerer Unfälle . Die FIA hat jetzt die Daten von Charles Leclerc in Monza und Lance Stroll in Mugello veröffentlicht.
Die Formel 1-Saison 2020 war nicht nur ein Jahr der Mercedes-Dominanz und der Überraschungssieger. Es war auch ein Jahr der schweren Unfälle . Schon lange nicht mehr gab es so viel Schrott. Schon lange nicht mehr haben wir hinterher so oft in einem ersten Reflex gesagt: Glück gehabt. Doch heute ist Glück meistens nur ein kleiner Faktor. Die Formel 1 baut nicht nur die schnellsten, sondern auch die sichersten Autos der Welt.
Sieben Mal hat es in der Corona-Saison richtig gekracht. Daniil Kvyat in Silverstone, Charles Leclerc in Monza , Lance Stroll in Mugello , Carlos Sainz in Sotschi , Antonio Giovinazzi in Spa und Romain Grosjean in Bahrain . Dazu noch die Massenkarambolage beim Re-Start in Mugello . Es hat nichts mit Zufall zu tun, wenn die Fahrer auch nach Highspeed-Unfällen nur mit blauen Flecken aussteigen. In den letzten 25 Jahren wurden die Autos zu einer höchst effizienten Ritterrüstung umfunktioniert.
Nackenschutz, HANS, Cockpitpolsterung, Halo, Radseile, reißfestes Zylon als Chassis-Armierung, stauchbare Lenksäulen, Crashstrukturen vorne, hinten und an der Seite, dazu Crashtests und Belastungsprüfungen für kritische Bauteile haben die Sicherheit der Autos Schritt für Schritt vorangetrieben.
Daten Grundlage der Unfallforschung
Auch die Rennstrecken mussten sich anpassen. Riesige Auslaufzonen bremsen entgleiste Autos vor dem Einschlag wirksam ab. Dort, wo der Platz knapp ist, dienen Reifenstapel , Tecpro und Safer barrier als Auffangnetz. Simulationen berechnen, an welcher Stelle der Strecke welche Schutzvorrichtung nötig ist. Eine Software berechnet für jede Kurve mit welcher Geschwindigkeit und in welchem Winkel ein Auto im Worst Case-Szenario in die Streckenbegrenzung einschlagen würde. Wenn etwas passiert, greifen einstudierte und schnelle Rettungsmaßnahmen. Die Zeiten, in denen sich die Ambulanz auf dem Weg ins Krankenhaus verfahren hat, sind längst Geschichte.
Die Grundlage der Sicherheitskampagne der FIA ist die Datenerfassung. Eine Blackbox (accident data recorder) zeichnet alles auf, von dem Moment, an dem der Fahrer die Kontrolle verliert bis zum Aufprall. Sensoren in den Ohrenstöpseln und den Handschuhen verraten, was der Fahrer im Moment der größten Verzögerung aushalten muss. Eine Highspeed-Kamera, die am vorderen Cockpitrand gegen die Rennrichtung filmt, dokumentiert in 400 Bildern pro Sekunde, was mit dem Kopf des Fahrers in den entscheidenden Momenten eines Unfalls passiert. Die Anatomie eines Unfalls hilft den Forschern der FIA beim Verständnis, die Fahrer in Zukunft noch besser zu schützen.
Leclerc mit 155 km/h in Reifenstapel
In der jüngsten Ausgabe der Verbandszeitschrift nimmt die FIA die Unfälle von Charles Leclerc beim GP Italien in der Parabolica und von Lance Stroll beim GP Toskana in der zweiten Arrabiata-Kurve unter die Lupe. In beiden Fällen verlor der Fahrer im dümmsten Moment die Kontrolle über sein Fahrzeug. Leclerc schlicht, weil er zu schnell war. Stroll , weil ihm beim Einlenken in die Rechtskurve der linke Hinterreifen platzte.
Leclerc verließ mit 210 km/h die Strecke. Der Ferrari stand auf dem etwa zehn Meter breiten Asphaltstreifen außerhalb der Parabolica kurz quer, stellte sich dann aber gerade und rauschte schnurstracks über ein Kiesbett in einem Winkel von 27 Grad in die durch drei Reifenstapel gesicherte Leitplanke. Leclercs Ferrari SF1000 wurde innerhalb von 7,50 Meter von 155 km/h auf null abgebremst. Die höchste Verzögerung von 32 g trat auf, als das Auto etwa 3,40 Meter in die Reifenstapel eingetaucht war.
Während Leclercs Unfall aus vielen Kameraperspektiven gefilmt wurde, gab es von Strolls Crash in Mugello nur einen Blickwinkel und die Aufnahmen der Bordkamera. Der Kanadier war 270 km/h schnell, als ihn das Heck seines Racing Point überholte. Zum Glück für ihn standen rund 50 Meter Kiesbett bereit, um das Auto abzubremsen. Nach einer Pirouette schlug der RP20 mit einer Geschwindigkeit von 97 km/h in einem Winkel von 48 Grad in die dreilagigen Reifenstapel ein. Die Datenaufzeichnung stellte eine Spitzenverzögerung des Autos von 19 g fest. Stroll kam wie Leclerc mit Prellungen davon. Der mentale Schaden war größer. Stroll brauchte fünf Rennen, bis er wieder voll da war.