Studie zur Autoindustrie: E-Auto-Boom verschärft Chipmangel und Lieferketten-Engpass
2021 erholte sich die Autoindustrie vom Corona-Schock. Doch einige Probleme bleiben. Schuld sind Ukraine-Krieg und E-Auto-Boom.
Auch in den kommenden Jahren wird die Autoindustrie wegen globaler und regionaler Krisen vor großen Herausforderungen stehen.
Seit der Corona-Pandemie hat die Autoindustrie weltweit mit Problemen vor allem in den Lieferketten zu kämpfen. Die dürften laut einer Studie der Unternehmensberatung Alix-Partners auch in den kommenden Jahren fortbestehen. Lieferengpässe etwa bei Chips, rückläufige Absatzzahlen, steigende Rohstoffpreise und lange Lieferzeiten werden die Automärkte noch bis mindestes 2024 weiter prägen, so die Prognose. Speziell bei Elektroautos wird hingegen ein starker Boom vorhergesagt.
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Während sich 2021 zunächst eine Erholung von den Auswirkungen der Pandemie abzeichnete, folgte Anfang 2022 mit dem Ukraine-Krieg eine zweite Disruption, die seither für erhebliche Ausfälle bei der Autoindustrie sorgt. Aufgrund der aktuellen Kriegssituation erwarten die Analysten einen Rückgang der globalen Absatzzahlen gegenüber dem Vorjahr um 1,4 auf 78,9 Millionen Fahrzeuge und einen Umsatzrückgang um 238 Milliarden Euro. Erst ab 2024 könnte die Fahrzeugproduktion wieder das Niveau vor Beginn der Pandemie erreichen.
Speziell in Deutschland wird sogar ein langfristiges Verharren der Absatzzahlen unter Vor-Corona-Niveau vorhergesagt. Für 2024 rechnet die Studie zunächst mit einem Anstieg beim Jahresabsatz auf 3,7 Millionen Einheiten, für die Folgejahre wird jedoch mit einem Rückgang auf 3,2 bis 3,5 Millionen Einheiten und damit bis zu 500.000 Fahrzeugen unter Vor-Corona-Niveau gerechnet. Als Grund für dieses anhaltend niedrige Niveau nennt die Studie ein sich mittel- bis langfristig veränderndes Mobilitätsverhalten der Bevölkerung.
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Speziell bei E-Autos erwarten die Autoren hingegen einen weiter stark steigenden Absatz. Bereits vergangenes Jahr hat sich dieser auf 6,75 Millionen Einheiten verdoppelt. Vor allem in Hinblick auf das vom EU-Parlament beschlossene Verbot von Verbrennungsmotoren rechnen die Analysten und Analystinnen in der EU mit einem Anstieg des Marktanteils batterieelektrischer Fahrzeuge bis 2028 auf 55 und bis 2035 auf 83 Prozent. Weltweit wird der Anteil von E-Fahrzeugen bis 2035 allerdings nur auf 50 Prozent steigen.
Bei den Zulieferern und Autoherstellern (OEM) werden die Investitionen in E‑Fahrzeuge entsprechend steigen. Bereits in den vergangenen zwei Jahren hätten sich diese verdoppelt, bis 2026 wird ein Anstieg auf über 500 Milliarden Dollar erwartet. OEMs dünnen parallel das Angebot von Modellen mit Verbrennungsmotoren und Hybridantrieben massiv aus. Allein zwischen 2024 bis 2028 dürfte ihre Zahl in Europa um ein Drittel zurückgehen.
Angesichts der stark steigenden Nachfrage von E-Autos sieht die Prognose auch eine bis mindestens 2024 weiter anhaltende Halbleiterknappheit voraus. Demnach benötigen E-Autos zehnmal so viele Chips wie Pkw mit Verbrennungsmotor, weshalb die Kapazitäten auch künftig nicht ausreichen würden.
Darüber hinaus wird die Autoindustrie mit weiter steigenden Rohmaterialpreisen zu kämpfen haben. Deren Anstieg wird ein weiteres Absinken der Batteriekosten wie in den vergangenen Jahren verhindern. Die Analyse geht deshalb von einer zunehmenden Verbreitung von Lithium-Eisenphosphat-Batterien aus, die günstiger als herkömmliche NMC-Batterien sind und auf seltene Erden verzichten, allerdings mit Nachteilen bei Gewicht und Reichweite einhergehen.
RND/SPX
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Autoindustrie: Welchen Autos wegen des Ukraine-Kriegs lange Lieferzeiten drohen
Wegen des Ukraine-Kriegs kommen viele Autoproduktionen gewaltig ins Stocken. Die Lieferzeiten bei Neuwagen könnten sich weiter ausdehnen. (Symbolfoto)
von Nicolas Kaufmann Nach der weltweiten Chip-Krise steht die Autoindustrie erneut vor großen Lieferengpässen und Produktionsstörungen. Deutsche Autobauer haben ihre Werke aufgrund des Ukraine-Kriegs stillgelegt. Es drohen noch längere Lieferzeiten bei Neuwagen.
Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind enorm. Denn die großen deutschen Autobauer wie VW, Mercedes und BMW exportieren nicht nur Fahrzeuge in die Ukraine und nach Russland, sondern sie betreiben auch russische Werke. Nun stehen sie still. Aber nicht nur in Russland sondern auch in Europa und in Deutschland fällt die Produktion aus. Die gesamte Branche steht vor unsicheren Zeiten.
"Die Kriegshandlungen Russlands führen zur Unterbrechung von Lieferketten. Der Transport ist eingeschränkt, die Produktion in Zulieferbetrieben fällt aus", teilte die VDA-Präsidentin Hildegard Müller am Donnerstag mit.
Die schon vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs herrschenden weltweiten Lieferengpässe nehmen nun deutlich zu. "Die durch den Krieg hinzukommenden Unterbrechungen bei Zug- und Schiffsverbindungen sowie Einschränkungen im Luftverkehr haben bereits deutliche Auswirkungen auf die Liefer- und Logistikketten, wir erwarten eine Verschärfung der Teileversorgung", sagt Müller. Die Lieferengpässe führen schließlich zum Produktionsstopp in vielen Werken deutscher Hersteller. Auch die Lieferketten etwa nach und aus China sind beeinträchtigt, weil ein Transport zunehmend schwieriger wird.
Kurzfristig gibt es Lieferengpässe bei den Kabelbäumen. Dabei handelt es sich um ein komplexes und teils für jedes Fahrzeugmodell individuell entwickeltes Bauteil. Ein Kabelbaum besteht aus einer Vielzahl von Kabeln, die für die Funktion des Bordnetzes zuständig sind. Der rund 60 Kilogramm schwere Strang wird größtenteils manuell gefertigt. Neben Tunesien ist vor allem die Ukraine ein wichtiger Kabelbaum-Lieferant für die europäischen Hersteller. Aufgrund ihrer Komplexität könne die Produktion nicht kurzfristig umdisponiert oder anderweitig substituiert werden.
Der Nürnberger Kabelhersteller Leoni hat seine zwei Werke in der Ukraine geschlossen. "Wir arbeiten – in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Lieferanten – mit Hochdruck daran, die Folgen der momentanen Produktionsunterbrechungen in unseren beiden Werken in Stryi und Kolomyja, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, für alle Beteiligten bestmöglich zu beherrschen", teilte das Unternehmen am Mittwoch in Nürnberg mit. Die Produktionsausfälle in der Ukraine bei Leoni und mehreren anderen Zulieferern hätten Folgen für die Verfügbarkeit von Teilen insbesondere in der europäischen Autoindustrie.
VW, Mercedes und BMW stellen Produktion ein
In der Folge der anhaltenden Kriegssituation stoppte VW am Donnerstag seine Produktion in seinen russischen Werken Kaluga und Nischni Nowgorod. Zuvor hatte der Konzern mit Kurzarbeit in seinen Werken in Dresden und Zwickau auf die Lieferprobleme aus der Ukraine reagiert. In der nächsten Woche wird VW in seinen großen Werken in Westdeutschland nur noch eingeschränkt produzieren. In der übernächsten Woche dürfte die Produktion dann komplett stillliegen. Betroffen ist zudem die Produktion der Nutzfahrzeuge. Auch sämtliche Exporte des deutschen Autokonzerns nach Russland würden "mit sofortiger Wirkung gestoppt". Gleiches gilt für dessen Marke Porsche. Die Produktion in Leipzig ist ebenso außer Betrieb.
Auch Mercedes-Benz setzte seine Exporte nach Russland sowie die Fertigung dort aus, wie das Unternehmen am Mittwochabend mitteilte. Die Stuttgarter hatten vor knapp drei Jahren ihr erstes Pkw-Werk nahe Moskau eingeweiht.
BMW stellte ebenfalls den Bau von Autos im russischen Kaliningrad und den Export nach Russland ein. Zudem werde es durch Lieferengpässe zu Produktionsunterbrechungen in deutschen und europäischen Werken kommen, hieß es bereits am Dienstag in München. In der kommenden Woche wird die Fahrzeugproduktion in München und in Dingolfing sowie die Motorenfertigung im österreichischenSteyr ruhen. Auch die Produktion des Mini in Oxford ist ausgesetzt. Wie ein BMW-Sprecher gegenüber der "FAZ" sagte, werden Anpassungen der Produktionsschichten auch in den Werken Leipzig und Regensburg erforderlich sein. Die BMW-Produktion in Europa steht damit fast vollständig still.
Die Münchener haben einen Krisenstab eingerichtet. "Die zuständigen Fachstellen sind mit den Lieferanten in intensiven Gesprächen, um die Versorgung über alternative Produktionsstandorte zu sichern und die Fertigung schnellstmöglich wieder anlaufen zu lassen", so der Konzernsprecher.
Marktanteil deutscher Autohersteller bei fast 20 Prozent
In Russland selbst produzierten deutschen Hersteller laut dem VDA 170.000 Autos im Jahr 2021. Diese wurden zum Großteil auch dort abgesetzt. Der Marktanteil deutscher Hersteller in Russland beträgt fast 20 Prozent. Dabei hat die deutsche Automobilindustrie 43 eigene Werke in Russland und sechs in der Ukraine.
Konsequenz aus Ukraine-Krieg Ikea schließt in Russland – und Tausende Russen shoppen "Last Minute" 1 von 10 Zurück Weiter Zurück Weiter Am Donnerstagabend kam es in zahlreichen russischen Ikea-Filialen, wie hier in Khimki, zu massenhaften Last-Minute-Käufen. Zuvor hatte der Möbelriese angekündigt, ab Freitag 17 Filialen und drei Produktionsstätten in Russland zu schließen. Mehr
Der VDA-Präsidentin zufolge haben deutsche Hersteller im vergangenen Jahr rund 40.000 Fahrzeuge in Russland und in die Ukraine exportiert – 4.100 Pkw in die Ukraine und 35.600 Pkw nach Russland. Das entspreche 1,7 Prozent aller Pkw-Exporte aus Deutschland heraus.
Zukunft der Autoindustrie unklar
Wann und wie die Autoproduktion weitergehen wird, ist unklar. Müller geht langfristig von Knappheit und einem Preisanstieg bei Rohmaterialien aus. Die Ukraine sei einer der wichtigsten Neon-Lieferanten. Das Gas wird für die Herstellung von Halbleitern benötigt. Der Chip-Mangel könnte damit weiter verschärft werden. Zudem könnte es einen Palladium-Mangel geben. Das Metall wird für Katalysatoren gebraucht und zu etwa einem Fünftel aus Russland nach Deutschland importiert.
Russland ist ebenfalls ein wichtiges Förderland für Nickelerz. Der Bedarf von Nickel werde sich laut Prognosen vervielfachen. Er ist ein wichtiger Rohstoff zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien und "unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität". Bei weiteren Rohstoffstoffen und Zulieferungen seien die genauen Auswirkungen derzeit noch nicht quantifizierbar.
Quellen: VDA, VW, Porsche, FAZ, mit Material der dpa
Tesla, BMW, VW: Warum sie die Lieferengpässe besser überstehen
Eine BMW-Fabrik in München. Daniel Josling/picture alliance/Getty Images

Hersteller von hochpreisigen Autos wie BMW, Tesla und die Volkswagen-Marken Bentley und Lamborghini freuen sich über hohe Verkaufszahlen, während der Rest der Branche unter dem Chipmangel leidet. Dabei sind in Luxusautos oft mehr Chips verbaut, als in günstigeren. Warum schlägt sich die Branche so gut in der Krise? Viele der Luxushersteller haben einem anderen Verkaufs- und Produktionszyklus als andere Autobauer. Laut Experten helfen ihnen verschiedene Strategien, den Chipmangel und Probleme in den Lieferketten besser zu überstehen. Mehr Artikel auf Business Insider findet ihr hier
Zwei Jahre lang haben pandemiebedingte Lieferkettenstörungen für Chaos auf dem Chip-Markt gesorgt. Das Problem begann im Jahr 2020, als plötzlich eine hohe Anzahl an Halbleitern für Angestellte im Home Office und für Studenten benötigt wurde. Als im Jahr 2021 die Nachfrage in der Autoindustrie wieder anstieg, wurde das Chaos noch größer. Zwar profitierten die Autohändler, doch die Autobauer kamen schnell an ihre Grenzen. Ford etwa sah sich gezwungen, den Start eines neuen Lkws zu verschieben, und Toyota löste General Motors als umsatzstärksten Autobauer in den USA ab – weil GM aufgrund von Engpässen gezwungen war, einige Produktionslinien herunterzufahren.
Die Chip-Knappheit ist so groß, dass Experten davon ausgehen, dass sie bis 2023 anhalten wird. Die US-Regierung unter Joe Biden will der Chip-Industrie mit 52 Milliarden Dollar unter die Arme greifen, auch die Europäische Union diskutiert über ein Hilfspaket in Höhe von 49 Milliarden Dollar.